Deutscher Gehörlosen-Bund e.V.
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Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention beinhaltet insbesondere das Recht von Menschen mit Behinderungen auf die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt durch eine Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.

Seit Oktober 2000 besteht zwar ein Rechtsanspruch auf die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz (§ 49 und § 185 SGB IX), aber damit sind leider erhebliche Probleme verbunden: Betroffene berichten von viel zu langen Bearbeitungszeiten der Anträge auf Gewährung der Kostenübernahme, von pauschalen Bedarfskürzungen und wiederholt wechselnden Zuständigkeiten bei der Sachbearbeitung.

Dazu folgendes anschauliches Beispiel: Ein gehörloser Mensch erhält die Zusage für eine neue Arbeit und beantragt die Leistung „Arbeitsassistenz“. Ihr Chef bzw. Arbeitgeber beobachtet sie während der Probezeit. Ohne Arbeitsassistenz kann ihre Arbeit nicht der eines hörenden Mitarbeitenden vergleichbar sein. Wenn die Bewilligung erst eintrifft, nachdem der Arbeitsplatz aufgrund der Kommunikationsprobleme bereits verloren ist, nutzt selbst ein positiver Bescheid des Integrationsamtes der nunmehr wieder arbeitslosen Hörbehinderten nichts mehr. Sie hatte nie die Chance, ihre Arbeitsleistung und ihre Fähigkeiten in Gänze und uneingeschränkt zu zeigen.

Wir messen deshalb der Leistung „Arbeitsassistenz“ eine besonders hohe Bedeutung im Hinblick auf die Verbesserung der Teilhabechancen hörbehinderter Menschen bei. Sie hilft, Inklusion im Arbeitsleben zu verwirklichen.

Auch im zweiten und dritten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der UN-BRK wird der Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz erwähnt. Allerdings wird hier nicht näher auf die Umsetzung und die damit verbundenen Schwierigkeiten eingegangen.

Im Jahr 2018 waren laut der Bundesagentur für Arbeit 156.621 schwerbehinderte Menschen arbeitslos. Sie machten damit einen Anteil von 6,7 % aller Arbeitslosen aus. Das waren 3,7 % weniger als im Vorjahr – allerdings war bei nicht-schwerbehinderten Menschen ein Rückgang von rund 8 % im Vergleich zu 2017 zu verzeichnen.

Die Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen ist seit Jahren deutlich höher als die von Menschen ohne Behinderungen. Bis heute liegen keine konkreten Zahlen zur Arbeitslosigkeit bei gehörlosen Menschen vor. Die Datenlage zur Erwerbstätigkeit und zur Erwerbs- bzw. Arbeitslosigkeit von Menschen mit Hörbehinderung ist unbefriedigend. Entsprechende Statistiken sind erforderlich, um zu belegen, dass die Arbeitslosenquote gehörloser Menschen deutlich höher ist als die von Arbeitnehmer/-innen ohne Hörbehinderungen.

Wir finden es unverständlich und inakzeptabel, dass private Arbeitgeber/-innen immer noch nicht die Beschäftigungsverpflichtung von 5 % erfüllen. Knapp 40.000 Arbeitgeber/-innen haben keine Menschen mit Behinderung eingestellt. Viele Firmen zahlen lieber die Ausgleichsabgabe, die sehr niedrig angesetzt ist, als dass sie gehörlose Menschen einstellen. Sowohl der Zugang zu als auch der Erhalt von Arbeit sind dadurch erheblich erschwert – mit der weiteren Folge, dass sich viele gehörlose Menschen am Arbeitsplatz nur eingeschränkt wohlfühlen und nicht ihr volles Leistungspotenzial abrufen können.

Aus Sicht des DGB muss die Beschäftigungsquote von schwerbehinderten Menschen zur Diskussion gestellt werden. Die geringen Sätze der Ausgleichsabgabe führen dazu, dass Arbeitge-ber/-innen eher dazu bereit sind, für jeden nicht mit einem schwerbehinderten Menschen besetzten Pflichtarbeitsplatz zu zahlen, als ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen, schwerbehinderte Menschen einzustellen. So müssen Arbeitgeber/-innen zwischen 125 und 320 Euro je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz bezahlen. Die Beschäftigungsquote und die Ausgleichsabgabe müssen so gestaltet werden, dass von ihnen ein hoher Anreiz ausgeht, gehörlose und andere Menschen mit (Hör-)Behinderungen zu beschäftigen.

Aus unserer Praxis wissen wir, dass gehörlose Jugendliche oft aufgrund „fehlerhafter“ Gutach-ten des berufspsychologischen Dienstes bei der Bundesagentur für Arbeit gar nicht oder nur sehr schwer Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt (Ausbildung oder Arbeit) finden. Das hat leider häufig fatale Folgen für gehörlose Jugendliche in Bezug auf ihren beruflichen Werdegang, was auch mit psychosozialen Folgen für die Jugendlichen verbunden ist. Es muss angemerkt werden, dass die Bereiche der Begutachtung kommunikationsintensiv sind und dass eine Begutachtung die sozialen und kulturellen Hintergründe gehörloser Jugendlicher unbedingt mitberücksichtigen muss. Das heißt, dass die verantwortlichen Psycholog/-innen und sonstigen Akteur/-innen in diesem Verfahren entsprechende Kenntnisse über die Gebärdensprache und Kultur gehörloser Menschen erwerben sollten. Es ist für eine gesicherte Diagnostik nicht ausreichend, eine/n Dolmetscher/-in für Deutsche Gebärdensprache und Deutsch bei der Begutachtung hinzuzuziehen.

Wir fordern:

  • die Senkung der Arbeitslosenquote von gehörlosen Menschen
  • konkrete Zahlen zur Arbeitslosigkeit bei gehörlosen Menschen im Rahmen der statistischen Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit
  • die Erhöhung der Beschäftigungsquote von schwerbehinderten Menschen im Allgemeinen auf 6 %
  • die Anhebung der Ausgleichsabgabe auf mindestens 750 Euro pro nicht besetztem Pflichtplatz
  • die Stärkung der Berufsorientierung und Förderung der Ausbildung von gehörlosen Jugendlichen in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechtes
  • die Förderung der Beschäftigung von gehörlosen Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch eine intensivierte Aufklärungs- und Präventionsarbeit in Betrieben zu personellen und technischen Unterstützungsmöglichkeiten
  • die Stärkung und Schulung der Schwerbehindertenvertretungen
  • die Verbesserung des Zugangs für Langzeitarbeitslose zur beruflichen Rehabilitation und die Förderung der beruflichen Integration von gehörlosen Menschen
  • die Kostenübernahme für Dolmetscher/-innen für Deutsche Gebärdensprache und Deutsch in allen Bildungsbereichen, besonders im Falle der inklusiven Umschulung und Fortbildung sowie der Aufnahme eines Zweitstudiums, einer Zweitausbildung oder einer zur Berufsausübung notwendigen Weiterbildung
  • die Verbesserung der bedarfsgerechten, einkommens- und vermögensunabhängi-gen Arbeitsassistenzleistungen (Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher/-innen, Kommunikationsassistent/-innen, Telefonvermittlungsdienst, Korrekturkraft, entsprechende technische Hilfen und Ausstattung)
  • die beschleunigte Bearbeitung von Anträgen auf Arbeitsassistenzleistungen und die Vereinfachung der Antragsstellung
  • die Bereitstellung der Pauschalbeträge (Form der Vorauszahlung) ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Bewilligung
  • die Abschaffung der Kappungsgrenze von 50 % des gezahlten Arbeitgeberbruttos und von 50 % der Arbeitszeit
  • die Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf zwei Jahre